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Der junge Wind  I Terno Balval

Aus " ZAGUBIONE DROGA (cyganskie bajki)" I  DER VERLORENE WEG (Zigeunermärchen)

von EDWARD DEBICKI , Gorzów 2016    I   Ins Deutsche übertragen von Katjusha Kozubek 

Es war ein schöner Morgen. Die Sonne  stieg hoch in den Himmel auf und begann die Erde zu erwärmen. Alles erwachte zum Leben nur der Junge Wind schlief noch genüsslich. Plötzlich kam über die Bäume der Alte Wind geflogen und voller Ärger schüttelte er die Äste des Baumes so stark, dass der Junge sofort auf die Füsse sprang. Erschrocken zuckte er zusammen und fragte:

-          Vater, was ist denn geschehen, dass du dich so aufregst? –

-          Der Alte Wind. Der seinen Sohn für eine gute und nützliche Welt erziehen wollte, schrie wütend:

-          „Wie – was ist geschehen? Siehst du denn nicht, dass alle schon aufgestanden sind und sich ihrem Tagwerk widmen? Du aber schläfst noch?“

Nach einer Weile, als er sich etwas beruhigt hatte, machte er den Jungen aufmerksam:

-          „Ich bin schon alt, meine Kraft nimmt ab, ich möchte, dass nach mir du meine Pflichten übernimmst und der ganzen Welt und den Menschen hilfst, aber ich befürchte, dass aus dir nichts anständiges wird.“ Erklärte er weiter.

Der Junge Wind unterbrach ihn und sagte betroffen:

-          Entschuldige, Vater, ich werde mich bestimmt bessern und ich will auch immer auf dich hören.

-          Ich befürchte, dass du nicht verstehst – erwiderte der Vater – du musst wissen, dass auf dieser Erde jeder seine Pflicht zu erfüllen hat: die Sonne wärmt die Erde, damit sie sich erwärmt, das Vieh/die Kreaturen darauf und die ganze Natur. Der Regen bewässert das Land  und der Wind verteilt die Samen auf die Pflanzen damit alles leben kann.

-          Entschuldigung, Vater – ich habe schon alles verstanden.

Er wirbelte herum und flog so schnell davon, dass er kaum zu sehen war.

 

„Wahrscheinlich hat er doch etwas verstanden…“ freute sich der Vater.

 

 

Der junge Wind aber war wütend. Und so brauste er über die Felder, Wälder und Flüsse hinweg, dass er alles, was ihm auf dem Weg begegnete -  zerstörte und zerschmetterte. Selbst die Berge verschonte er nicht. Die Bäume riss er mitsamt den Wurzeln aus, die reifen Roggenhalme knickte er und breitete sie auf der Erde  wie einen Teppich aus.  Er richtete großen Schaden an in der Natur und hätte noch mehr getobt aus Ärger über den Vater – aber er war schon ganz entkräftet und so setzte er sich endlich an den Feldrand unter einen Baum und dachte nach. Er fürchtete sich, nach hause zurück zu kehren. Da sah er, wie jemand in der Ferne den Weg entlang in seine Richtung kommt. Schnell flog er hin und sah eine alte Frau, die sich auf einen Birkenstock stütze. Sie blieb stehen und fragte:

-          Was bist du denn so traurig, Windchen?

-          Naja, ich habe ein bißchen…Ärger gemacht. Aber wer bist du?

-          Ich bin die Seele dieser Berge, die du zerbrochen hast – antwortete sie – Du kannst mir helfen.

-          Ich möchte gerne meinen Fehler wieder gut machen – beteuerte der Junge Wind.

Das alte Weiblein war einverstanden unter einer Bedingung: Er sollte zukünftig niemandem mehr Schaden zufügen.

-          Ich gebe dir diesen Birkenstock. Er wird helfen,  die Schäden, die du angerichtet hast, wieder gut zu machen.

Der junge Wind griff danach und flog mit großem Schwung in den Himmel. Auf dem Weg  wirbelte er zwar ein paar aufgeplusterte Wölkchen herum– aber er entschuldigte sich sogleich und eilte rasch weiter zu den Orten, die er zerstört hatte. Als er endlich ankam, wand sich der Birkenstock plötzlich aus seiner Hand, drehte sich mehrmals in der Luft, hielt an, fegte  dreimal in drei Himmelsrichtungen  und in einem Augenblick war alles so, wie es früher war.

Zufrieden und ohne Angst kehrte unser kleiner Wind nun zurück nach hause. Die ersten Schritte führten ihn zum Vater.

-          Lieber Vater,  bitte, bitte  verzeih‘ mir meine jugendlichen Spässe und Dummheiten und was ich angestellt habe. Jetzt habe ich verstanden, dass, wenn man jung ist, auch die Menschen und die Welt achten sollte.

-          Ich freue mich, dass du es verstanden hast – antwortete der Vater

Er umwehte das Söhnchen warm und herzlich und bat ihn, sich neben ihn zu setzen. Der junge Wind setzte sich und kuschelte sich an den Vater.

-          Als ich jung war, nannten sie mich Pędzik (Sausebraus) . Einmal geschah es, dass mein Vater, also dein Großvater, mich wegen einer Sache anschrie. Um mich zu beruhigen, flog ich auf einen längeren Spaziergang. Ich flog an ein großes Wasser und liess mich an seinem sandigen, weiten Ufer nieder. Als ich so in die Wellen starrte und nachdachte, taucht eine kleine Schildkröte neben mir auf und fragte:

-          Was grübelst du denn so, Pedzik?

-          Ich war böse und mein Vater hat mich angeschrien – antwortete ich

-          Warte, gleich bringe ich was! Das wird dich fröhlich machen.

Die Schildkröte tauchte ins Wasser und war lange Zeit nicht zu sehen. Ich schaute wieder den Fischen zu, wie sie im Wasser planschten und  mit den einfallenden Sonnenstrahlen spielten.

Ich wollte nach Hause fliegen, weil ich dachte, die Schildkröte hätte mich vergessen – doch im selben Moment tauchte sie aus dem Wasser auf. Irgendetwas hielt sie im Mund.

-          Entschuldige bitte, dass du so lange warten musstest – aber ich konnte das Geschenk für dich nicht finden.

Sie gab mir eine sehr schöne Muschel: quadratisch wie ein Koffer.

-          Wenn es dir einmal schlecht geht oder du traurig bist, dann öffne dieses Köfferchen – sagte die Schildkröte und verschwand wieder im Wasser.

Es war damals ein bewölkter Tag und er hüllte mich ganz in Traurigkeit ein. Ich wusste überhaupt nicht, wohin mit mir. Ich erinnerte mich an die Schildkröte. Ich nahm also die Muschel an mich, stand auf und liess mich auf einem hohen Berg nieder, betrachtete mein Geschenk und in dem Moment, als ich es öffnete, wurde es mir fröhlich in der Seele. Ich sah eine wunderschöne, freundliche Welt:  Wind, Sonne und Regen helfen allen, lachende Menschen ernten das Getreide und stellen es in Bündeln auf. Und der Wind kühlt ihnen lächelnd die verschwitzten Köpfe. Der Mond, der zum Nachtdienst erwacht, um die Dunkelheit zu erhellen, schenkt den Nachtgeschöpfen ein freudiges Leben.

Der Junge Wind, versunken in die Erzählung des Vaters, kuschelte sich noch enger in seine Arme.

-          Ich werde genauso sein – flüsterte er.

Gerührt legte ihm der Vater das Köfferchen auf die Knie.

Der junge Wind drückte es an sich schlief glücklich  ein…